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Titel
Eigenmächtig, frauenbewegt, ausgebremst. Der Demokratische Frauenbund Deutschlands und seine Gründerinnen (1945–1949)


Autor(en)
Bühler, Grit
Erschienen
Frankfurt am Main 2022: Campus Verlag
Anzahl Seiten
525 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jessica Bock, Digitales Deutsches Frauenarchiv, Berlin

„Dienstbar – Folgsam – Dumpf“ – so beschrieben Akteurinnen der Lila Offensive im Herbst 1989 wenig schmeichelhaft die größte Massenorganisation für Frauen in der DDR: den Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD). In ihren Augen stand der DFD für eine biedere und konservative Frauenpolitik, die bestehende patriarchale Geschlechterrollen und -verhältnisse eher zementierte als bekämpfte. Diese Sichtweise schien sich auf die Forschung übertragen zu haben, die sich mehr für die nichtstaatliche Frauenbewegung und Organisationen wie den Unabhängigen Frauenverband zu interessieren schien1 als für die größte Massenorganisation für Frauen in der DDR, die seit 1990 als Demokratischer Frauenbund bis heute existiert.

Die Historikerin Grit Bühler, die bereits 1997 ein Buch über die politische Partizipation am Beispiel des DFD veröffentlichte2, hat nun mit „Eigenmächtig, frauenbewegt, ausgebremst. Der Demokratische Frauenbund Deutschlands und seine Gründerinnen“ ihre Dissertation vorgelegt. Der feministische Dreiklang im Titel der Studie kündigt mehr an als eine Korrektur der bisherigen Lesart des DFD. Mit ihrem Anliegen, die Entstehung des DFD, seine Gründerinnen und deren feministische Agenda zwischen 1945 und 1949 zu betrachten, schließt Bühler eine wichtige Lücke der deutschen Frauenbewegungsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Sie knüpft an die bisherigen Forschungen zum Nachkriegsfeminismus an und leistet für den Bereich der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der frühen DDR wichtige Grundlagenforschung.

Für ihre Analyse wählte die Autorin eine akteurinnenzentrierte Perspektive und stellt insgesamt acht Protagonistinnen in den Mittelpunkt. Diesen biografiegeschichtlichen Ansatz behält sie bis zum Ende ihrer Betrachtungen bei. Dadurch gelingt es ihr, die komplexen Entwicklungen im Untersuchungszeitraum anschaulich zu vermitteln. Nicht zuletzt resultiert diese Herangehensweise aus ihrem Bestreben, die durch den Einfluss der SED aus der Geschichte des DFD getilgten Frauenpersönlichkeiten wie Maria Rentmeister, Emmy Damerius-Koenen oder Prof. Dr. Paula Hertwig wieder in die DFD- und DDR-Geschichte einzuschreiben. Neben der Akteurinnenperspektive wählt Bühler mit Thüringen einen regionalen Ansatz. Obgleich der mikrogeschichtliche Ansatz mit einem Bundesland, das laut Bühler „eine Vorreiterrolle“ (S. 31) einnahm, durchaus vielversprechend ist, hält sie dieses Vorgehen leider nicht bis zum Schluss konsequent durch.

Der dieser Arbeit zugrundeliegende Quellenfundus ist beachtlich. Er reicht von verschiedenen Archivbeständen wie Organisationsunterlagen und Nachlässen bis hin zu (digitalisierten) Dokumenten der Central Intelligence Agency (CIA). Ein Kernstück bildet der Nachlass von Maria Rentmeister, der für diese Studie erstmals erfasst und der Forschung zugänglich gemacht wurde. Der Autorin gelingt es in beeindruckender Weise, die Materialfülle zu systematisieren und für die Fragestellungen fruchtbar zu machen. Davon zeugt nicht zuletzt ein 1.579 Anmerkungen umfassender Fußnotenapparat, der nicht nur auf die jeweiligen zitierten Quellen verweist, sondern auch Erläuterungen enthält, die zum Gesamtverständnis des Themas beitragen. Zudem ist die Arbeit in einer verständlichen wissenschaftlichen Sprache geschrieben, die das Buch zu einem Lesevergnügen werden lässt.

Der Hauptteil gliedert sich in zwei große Abschnitte, die jeweils mehrere Kapitel umfassen und deren Erkenntnisse jeweils in einem Resümee gebündelt werden. Im ersten Abschnitt widmet sich Bühler der Gründungsphase des DFD zwischen 1945 und 1947. Beginnend mit den Frauenausschüssen, die unmittelbar nach Kriegsende nahezu überall in Deutschland gegründet wurden, beschreibt sie die politischen Ermächtigungsprozesse der Frauen, indem sie das Überleben im Alltag in der Nachkriegszeit organisierten. Die dabei erfahrenen Frauengemeinschaft und -solidarität waren nicht nur wichtige Insignien des Nachkriegsfeminismus, sondern zugleich wesentliche Voraussetzungen für die Gründung einer zonen- und parteiübergreifenden Frauenorganisation. Bereits in diesen Ausschüssen engagierten sich zahlreiche Protagonistinnen, die die Anfangsjahre des DFD maßgeblich prägten. Auffällig dabei ist, dass unter den führenden Frauen viele bereits vor 1933 in der Frauenbewegung aktiv waren und zum Teil auch über Erfahrungen als Abgeordnete verfügten. Bühlers Erkenntnisse decken sich mit den Befunden neuerer Forschungen über (westdeutsche) Frauenorganisationen nach 1945, die ebenfalls auf eine Kontinuität zur alten Frauenbewegung vor 1933 verweisen.3 Damit legt Bühler wichtige Verbindungslinien zwischen Frauenbewegungen vor und nach 1945 frei und regt zu einer stärkeren Zäsur übergreifenden Betrachtung der Frauenbewegungen im 20. Jahrhundert an. Im gleichen Abschnitt räumt die Autorin mit einer weiteren Einschätzung über den DFD auf, wonach die Akteurinnen als „Puppen des Kreml“ (S. 299) agierten und nach sowjetischem Vorbild ihre Organisation aufbauten. Tatsächlich orientierten sich die Frauen an der Union Französischer Frauen, die mit ihrem Anspruch auf Überparteilichkeit und Überkonfessionalität sowie der Forderung nach weiblichem Mitsprachrecht in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens eher den politischen Idealen der DFD-Gründerinnen entsprach.

Die während der Gründungsphase formulierten Ansprüche, Frauen als politische Subjekte zu konstituieren und zu mobilisieren sowie für Fraueninteressen in allen Bereichen zu streiten, setzte der DFD zwischen 1947 und 1949 kontinuierlich fort. Diesen Zeitraum analysiert Bühler überzeugend als feministische Phase, in der der DFD nicht nur seine Organisationsstrukturen aufbaute, sondern mit seiner Arbeit in verschiedenen Ausschüssen wichtige frauenpolitische Weichenstellungen für die folgenden Jahrzehnte in der DDR legte. Dazu gehört unter anderem die Verankerung der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in Artikel 7 der DDR-Verfassung oder die Forderung nach einem modernen Namensrecht. Ob die Ergebnisse um den § 218 als „erfolgreiche feministische Politik“ (S. 284) zu bezeichnen sind, ist jedoch zu diskutieren. Offen bleibt weiterhin, welchen Anteil die Frauenausschüsse und der DFD an den Ländergesetzgebungen zum Schwangerschaftsabbruch tatsächlich hatten. Zudem sah die Entscheidungspraxis der Indikationskommissionen anders aus, als die progressiven Gesetze es vermuten ließen. Parallel dazu bemühte sich der DFD um die Einbindung in die „Weltfrauenbewegung“ und warb erfolgreich um die Aufnahme in die Internationale Demokratische Frauenföderation (IDFF).

Erfreulicherweise vermeidet es Bühler, die Nachkriegsfrauenbewegung am Beispiel des DFD als harmonisches Gebilde zu verklären. Unterschiedliche politische Standpunkte, Rivalitäten und Intrigen gehörten von Beginn an zum politischen Alltag des DFD. Zusätzlich erschwerten ab 1947 die zunehmende Ost-West-Konfrontation und der aufziehende Kalte Krieg den immer wieder vom DFD beschworenen Anspruch, eine gesamtdeutsche Frauenbewegung zu sein, tatsächlich umzusetzen. In diesem Zusammenhang geht die Autorin auch auf die „ersten Ost-West-Bruchlinien“ ein und plädiert hier für einen kritischeren Blick auf den Antikommunismus federführender Frauen wie Gabriele Strecker (S. 260 und S. 290).

Im Frühjahr 1948 war es mit der „Eigenmächtigkeit“ des DFD bereits wieder vorbei. Im Zuge der Umgestaltung zur „Partei neuen Typus“ (S. 341) übernahm die SED zunehmend die ideologische und personale Ausrichtung des DFD. Anschaulich zeichnet Bühler den von der SED orchestrierten Führungswechsel nach, der die bis dahin aktiven Führungsfrauen wie Maria Rentmeister, Anne-Marie Durand-Wever oder Emmy Damerius-Koenen buchstäblich ins (frauen-)politische Abseits beförderte. Stattdessen wurden parteitreue und des Feminismus unverdächtige Genossinnen wie Ilse Thiele an die Spitze der Massenorganisation platziert. Diese stutzte den DFD innerhalb kürzester Zeit zum „Transmissionsriemen“ für die marxistisch-leninistische Ideologie der SED zurecht und entfernte jegliches Wissen um das feministische Programm des DFD aus der offiziellen Frauenbundsgeschichte (S. 370). Diese Ausführungen gehören mit zu den eindrücklichsten und beklemmenden Passagen des Buches, zeigen sie doch, wie Frauen sich zu Komplizinnen des „sozialistischen Patriarchats“ gemacht haben.4

Abschließend sei auf den etwa 100 Seiten umfassenden Anhang verwiesen, der unter anderem Textdokumente, Kurzbiografien und eine Chronik umfasst und die Analyse hervorragend abrundet. Einzig die angekündigten tabellarischen Übersichten fehlen, die der Verlag hoffentlich in einer neuen Auflage ergänzen wird.

Anmerkungen:
1 Bereits ab 1990 erschienen zahlreiche Veröffentlichungen, die sich zunächst mit dem Frauenaufbruch im Herbst 1989 und dann mit der nichtstaatlichen Frauenbewegung beschäftigten. Siehe hier vor allem Anne Hampele, Frauenbewegung und UFV im letzten Jahr der DDR, Berlin 1990; Daphne Hornig / Christine Steiner, Auf der Suche nach der Frauenbewegung in der DDR und nach der Wende, Hamburg Frauenanstiftung e. V. 1992; Samirah Kenawi, Frauengruppen in der DDR der 80er Jahre. Eine Dokumentation, Berlin 1995.
2 Grit Bühler, Mythos Gleichberechtigung in der DDR. Politische Partizipation von Frauen am Beispiel des Demokratischen Frauenbunds Deutschlands, Frankfurt am Main 1997.
3 Siehe etwa Elke Schüller, Westdeutsche Frauenorganisationen der Nachkriegszeit – ein „missing link“, in: Anja Weckwert / Ulla Wischermann (Hrsg.), Das Jahrhundert des Feminismus, Königstein/Taunus 2006, S. 171–182; Kerstin Wolff, Ein Traditionsbruch? Warum sich die autonome Frauenbewegung als geschichtslos erlebte, in: Julia Paulus / Eva-Maria Silies / Kerstin Wolff (Hrsg.), Zeitgeschichte als Geschlechtergeschichte, Frankfurt am Main 2012, S. 257–275; Hannah Rentschler, „…ob wir nicht alle Feministinnen sind.“ Die Arbeitsgemeinschaft Hamburger Frauenorganisationen 1966–1986, Hamburg 2019.
4 Ursula Schröter, Über Privates und Öffentliches. Eine ostdeutsche Sicht auf das geteilte Deutschland, MANUSKRIPTE – neue Folge, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin 2020, S. 159.

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